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Der Branche fehlen Fahrzeuge Sterben Autofriedhöfe aus?

Die Autorecyclingbranche kämpft ums Überleben. Es ist ein Ringen gegen Exporte, fehlende Nachfolger und die Unwägbarkeiten der Elektromobilität.

Flavio Koch, Geschäftsführer der Autoverwertung Lustenberger: «Wir leben vom Verkauf von Ersatzteilen.» Foto: zvg

Die Lustenberger AG in Werthenstein zählt mit ihren 16 Mitarbeitenden zu den grossen Betrieben der Autoverwertung. Die Beschäftigten zerlegen zwischen 900 und 1.000 Autos pro Jahr. An alten Schrottfahrzeugen werden Flüssigkeiten abgelassen, Batterien ausgebaut und Räder demontiert. Dann wird die Karosse zusammengepresst und in ein Schredderwerk gefahren. Unfallautos werden ausgeschlachtet, also gute und gefragte Teile ausgebaut. «Schrott bringt so gut wie nichts ein, wir leben vom Verkauf von Ersatzteilen», sagt Flavio Koch, einer der beiden Geschäftsführer des Unternehmens.

Die Kunden der Autoverwertung sind überwiegend Garagen und Karosseriebetriebe. Sie kaufen Occasionsersatzteile, um die Autos ihrer preisbewussten Kundschaft kostengünstig zu reparieren. «Unser Preis für ein Produkt hängt davon ab, wie hoch dessen Laufleistung ist und ob viele oder wenige davon am Lager sind», sagt Koch. Durchschnittlich verlangt Lustenberger für Gebrauchtteile den halben bis ein Drittel vom Neupreis eines Original-Ersatzteils. Alle vorhandenen Teile sind in einer Datenbank aufgelistet.

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«Nur noch 18 Prozent aller Unfallfahrzeuge bleiben hier, der grosse Rest geht ins Ausland.»

Flavio Koch

Allerdings wird es für Koch zunehmend schwieriger, an Fahrzeuge zu kommen. Unfallautos werden überwiegend auf digitalen Bieterplattformen angeboten, die Versicherungen betreiben. Dort verkaufen sie die verunfallten Fahrzeuge ihrer Kundschaft. Restwertebörse.ch ist die grösste ihrer Art in der Schweiz, dort offerieren gleich vier Versicherungen Autos. Wieviel Koch für ein Fahrzeug bietet, bestimmt dessen Baujahr, seine Laufleistung und die Schadenshöhe des Unfalls. «Wir bezahlen für Unfallautos zwischen 100 und 10 000 Franken», sagt Koch. Der Wettbewerb werde jedoch zunehmend härter. «Nur noch 18 Prozent aller Unfallfahrzeuge bleiben hier, der grosse Rest geht ins Ausland», sagt Koch. Der internationale Wettbewerb treibt den Preis der Fahrzeuge nach oben.

«Für die Verkäufer von Unfallfahrzeugen steht an erster Stelle das Geld, das sie für ein Unfallauto bekommen, und wenn ein Exporteur mehr bezahlt als ein Verwerter, geht das Fahrzeug eben ins Ausland», sagt Koch. Dieses wirtschaftliche Prinzip hat auch bei Altfahrzeugen Hochkonjunktur, wovon Autoverwerter ebenfalls betroffen sind. Unter dem Export leiden nicht nur die Autofriedhöfe. In der Folge mangelt es den Garagen und Karosseriebetrieben an günstigen Gebrauchtteilen für die Reparatur.

Altautos gehen ins Ausland

Im vergangenen Jahr wurden in der Schweiz rund 286.000 Fahrzeuge ausser Betrieb gesetzt. Davon gingen 130.000 in den Export. «Dies sind ältere Fahrzeuge mit vielen Kilometern, für die bei uns keine Nachfrage existiert», sagt Daniel Christen, Geschäftsführer der Stiftung Autorecycling Schweiz. Diese Fahrzeuge würden ansonsten geschreddert. «Vornehmlich in Afrika, auf dem Balkan oder Osteuropa fahren die Gebrauchtwagen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte weiter, weil sich dort die wenigsten einen Neuwagen leisten können und die Reparaturen günstig sind», sagt Christen.

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Die Stiftung wurde von der Vereinigung Schweizer Automobil-Importeure mit dem Zweck gegründet, die umweltgerechte Entsorgung von Motorfahrzeugen zu fördern und Stoffkreisläufe zu schliessen. «Die Exporte stellen keine billige Entsorgung dar, denn der Exporteur bezahlt für die älteren Fahrzeuge», sagt Christen. Altfahrzeuge könnten bei den schweizerischen Autoverwertern üblicherweise kostenlos abgegeben werden. Autorecycling Schweiz begrüsst den hohen Abfluss von älteren Occasionsfahrzeugen allerdings nicht, da dem Land auf diese Weise Sekundärrohstoffe entzogen werden.

«Am Ende sind 90 Prozent eines Autos stofflich und energetisch recycelt.»

Daniel Christen

Die vielen exportierten Altautos fehlen letztlich auch in der Autoverwertung. Dort werden die Karossen platt gemacht und an Schredderfabriken verkauft, wo sie in faustgrosse Stücke zerhackt und die Metalle mit Magneten herausgezogen werden. Metalle machen etwa 80 Prozent eines Fahrzeugs aus. Der Rest wird verbrannt. Die dabei erzeugte Energie wird zur Stromgewinnung oder als Fernwärme genutzt. «Am Ende sind 90 Prozent eines Autos stofflich und energetisch recycelt», sagt Christen. Das ist ein überraschend hoher Wert - allerdings hat sich die verarbeitete Menge in den insgesamt sieben Schweizer Schredderwerken in den letzten fünf Jahren fast halbiert. Im vergangenen Jahr wurden nur noch knapp 40.000 Tonnen Altautos verwertet. Entsprechend ging die Arbeit in den Autoverwertungen zurück.

Etwa 40 Autofriedhöfe gibt es in der Schweiz. Viele legen Altautos nur trocken, andere schlachten Unfallfahrzeuge vorher aus. So wie die Firma Lustenberger das macht und was arbeitsintensiv ist. Sie ist Mitglied bei VASSO, der Vereinigung der offiziellen Autosammelstellenhalter der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein. Die VASSO vertritt die Autoverwerter in wirtschaftlichen und gesetzlichen Angelegenheiten gegenüber der Wirtschaft und Politik. Mitglied kann werden, wer mit gebrauchten Teilen handelt und Autos fürs Recycling vorbereitet.

Viele Autoverwertungen schliessen

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Elf Betriebe haben sich dem Verband angeschlossen, Thomas Ramseyer ist dessen Präsident. Er ist zugleich Geschäftsführer einer mittelgrossen Autoverwertung. Diese heisst wie er und hat ihren Sitz hat in Aeschlen bei Oberdiessbach. Von seiner Tätigkeit weis Ramseyer, dass die Beschäftigten in den Betrieben der Branche viel und schwer arbeiten müssen. «Hinzu kommt der Personalmangel, der es zusätzlich erschwert, neue Mitarbeiter zu finden.» Das Geschäft werde wirtschaftlich immer schwieriger und Nachfolger gebe es kaum. «Aus all diesen Gründen schliessen immer mehr Autoverwertungen», sagt Ramseyer. Vor zehn Jahren hatte die VASSO noch fast doppelt so viele Mitglieder.

Der Wandel hin zur Elektromobilität könnte nach Meinung von Ramseyer das Geschäft der Autoverwerter im Positiven wie im Negativen beeinflussen. «Elektromotoren bestehen aus viel weniger Bauteilen als Verbrennermotoren», sagt Ramseyer. Das reduziert den Handel mit Teilen. Der könnte teilweise kompensiert werden durch den Ausbau der Antriebsbatterien und deren Überführung an die Automobilhersteller oder spezielle Recyclingfirmen. «Das Recycling der Antriebsakkus werden Autoverwerter nicht machen», meint der Verbandspräsident. Darum kümmern sich die Hersteller entweder selbst oder darauf spezialisierte Unternehmen.

Flavio Koch glaubt trotz aller Widrigkeiten an die Zukunft seines Betriebs: «Wir haben viel investiert, alles ist zeitgemäss modern.» So sind alle Teile digital erfasst und werden in einer Datenbank für die Kundschaft aufgelistet. Sollte ein gesuchtes Teil nicht dabei sein, werden Interessenten direkt auf die Seiten von vier weiteren Autoverwertern geleitet, darunter Ramseyer.

Die Kooperation zeigt, dass die Branche zusammenhält. Kein Wunder, geht es doch ums nackte Überleben.

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