Herr Füglistaler, eigentlich wollten Sie Lokführer werden. Schlussendlich wurden Sie BAV-Direktor. Wie zufrieden sind Sie heute mit Ihrer beruflichen Laufbahn?

Ich habe in meinem Leben mehr erreicht, als ich mir je erträumt habe.

Also in Sachen Beruf?

In allem. Wirklich in allem. Ich hätte mir nie vorstellen können, zu studieren und einen Doktortitel zu machen. Geschweige denn, eine Stelle in Bern direkt unter einem Bundesrat inne zu haben. Oder – vor längerer Zeit – sogar mehrere Bücher zu schreiben. Und ich habe ganz viel Glück gehabt im Leben. Dem bin ich mir sehr bewusst.

Dann gab es bestimmt auch ein paar Geschäfte, die Sie erfreut haben. Welches übergeben Sie Ihrer Nachfolgerin besonders gerne?

Jetzt habe ich gedacht, dass Sie fragen, welches Geschäft ich besonders gerne übergebe, weil ich es vom Tisch und nichts mehr damit zu tun haben will. Da hätte ich eine Antwort gehabt.

Gut, dann stelle ich die Frage so: Welches Geschäft übergeben Sie besonders gerne, weil Sie nichts mehr damit zu tun haben wollen?

Das ist sicher der Bahnhof Lausanne, obwohl es dieses Projekt ohne das BAV gar nicht geben würde. Wir haben damals den geplanten Chestenbergtunnel gestrichen und an seiner Stelle eine Milliarde in das Projekt in Lausanne investiert, weil es den Ausbau des Bahnhofes Lausanne zwingend braucht. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen Westschweizer Politiker, der sich für den ÖV eingesetzt hat. Im Moment werden wir jedoch überrannt von Politikern, die sich über Gebühr in dieses Projekt einmischen und die das Gefühl haben, damit laufe es besser. Da muss ich klar sagen: Lasst doch die Leute einfach am Projekt arbeiten, das hilft am meisten. Die politische Aufgeregtheit, so, wie sie in den letzten Jahren Einzug gehalten hat, wird mir nicht fehlen.

Das Einmischen von politischer Seite stört Sie also am meisten?

Der Populismus – den es auf beiden politischen Seiten gibt – verbunden mit der Haltung «Bern ist schuld daran», dünkt mich etwas gar einfach. Wenn sich ein Politiker ernsthaft um die Sache bemüht, versucht, den Ursachen auf den Grund zu gehen und Verbesserungen vorschlägt, ist das herzlich willkommen. Aber einfach nur zu sagen, dass alles der Fehler von Bern beziehungsweise der Verwaltung sei, da habe ich Mühe damit. Das werde ich nicht vermissen.

Und welches Projekt aus den vergangenen vierzehn Jahren als BAV-Direktor hätten Sie sofort bachab geschickt, wenn Sie es in der Hand gehabt hätten?

Im Nachhinein die Reform im regionalen Personenverkehr, die wir vor kurzem abgeschlossen haben. Da sind wir optimistisch gestartet und wollten vom BAV Kompetenzen an die Kantone abgeben. Jedoch war der Wille für Veränderung nicht da, und am Schluss bekamen wir zu hören, dass wir mit der Reform nichts erreicht hätten. Diese Aussage ist leider nicht ganz falsch. Rückblickend muss man sagen, dass wir uns die Arbeit weitgehend hätten sparen können. Wenn man am Anfang merkt, dass der politische Wille für eine Veränderung nicht vorhanden ist, kann man sich das Erarbeiten einer Vorlage sparen. Da haben wir viel zu viel gearbeitet, für das, was am Schluss herausgekommen ist. Aber das merkt man erst mit der Zeit, mit der ganzen Entwicklung, die ein Projekt nimmt und irgendwann kann man nicht mehr zurück.

Entgegen der landläufigen Meinung ist Ihr Verhältnis zu Andreas Meyer, dem ehemaligen CEO der SBB, gar nicht so schlecht. Im Gegenteil: Ihr trefft euch zum Jassen. Wie ist es dazu gekommen und wer bodigt den anderen öfter?

Wir haben uns leider erst einmal zum Jassen getroffen. Bei unseren Auseinandersetzungen in der Vergangenheit kamen wir irgendwann zum Punkt, wo wir beide wissen wollten, wer von uns denn nun wirklich besser ist (schmunzelt). Wir beschlossen, dass diese Entscheidung am Jasstisch fallen sollte. So haben wir es dann auch gemacht. Ich habe verloren, Andreas hat gewonnen. Die definitive Entscheidung steht jedoch noch aus, die Revanche ist in Planung.

Anfangs zeigte sich das Verhältnis zum Nachfolger von Andreas Meyer, Vincent Ducrot, noch gelöster als in früheren Jahren zu Meyer. Jedoch schien es mit der Zeit etwas angespannter zu werden. Stimmt der Eindruck und wenn ja, weshalb hat sich euer Verhältnis verschlechtert?

Ich möchte das nicht auf die persönliche Ebene herunterbrechen, weil es nichts mit der Person, sondern mit der Rolle zu tun hat. In letzter Zeit haben sich die SBB bei einigen Geschäften wirklich verschätzt. Beispielsweise beim Deckungsbeitrag, den der Fernverkehr an die Kosten des Schienennetzes zu leisten hat, wo sie Erleichterungen im Umfang von 1,7 Milliarden Franken gefordert haben. Auch in anderen Geschäften erwies sich im Nachhinein die Position des BAV als richtig. Die SBB konnten jedoch nie zugeben, dass das BAV recht hat – oder schlimmer noch, dass ich recht habe. Einfach mal hinstehen und sagen, «ja, das BAV hat recht», das habe ich in diesen vierzehn Jahren bei den SBB nur selten erlebt.

Ihre Aussagen sind oft pointiert, teils offen kritisierend und häufig auch aneckend. Viele werden das wohl als reine Provokation verstanden haben. War es das und wenn ja, was haben Sie damit bezweckt?

Nein, es war nie meine Absicht, zu provozieren. Bei allem, was ich gesagt habe, habe ich mir zuvor sehr genau überlegt, wie ich es sage. Und im Vorfeld habe ich es jeweils mehrere Male in leiseren Tönen gesagt, leider ist es auf diese Weise nicht beim Gegenüber angekommen. Wenn es einfach nicht verstanden werden will, kann ich auch anders und es gehört dazu, auch mal Klartext zu reden. Es ist nicht die Lust zu provozieren, sondern die Lust, Sachen anzusprechen und zu lösen. Und es ist meine Art, gegen die Selbstzufriedenheit in der Branche anzukämpfen. Jetzt kann man natürlich sagen, dass diese Aussage eine Provokation sei. Sich selbst jedoch etwas mehr zu hinterfragen und auch zu sehen, wie schön und gut man es hat, würde der Branche gut anstehen.

Es gab einige – auch gerade von der rechten Seite – die Sie gerne als Nachfolger von Andreas Meyer als CEO der SBB gesehen hätten. Hatten Sie je Ambitionen auf diesen Posten?

Nein, ich habe mich nie darauf beworben und ich weiss auch nicht, ob das der richtige Job gewesen wäre für mich. Was mich früher aber gereizt hätte, wäre der Posten als Finanzchef der SBB gewesen. Das hätte mir mehr entsprochen. Beim BAV war ich jedoch am richtigen Ort und es ist gut so, wie es gekommen ist.

In all den Jahren gab es sicher auch Momente, die nicht so schön waren. Was hat Sie am meisten mitgenommen oder beschäftigt?

Ganz klar die diversen Subventionsskandale, allen voran der Fall Postauto. Was das ausgelöst und an Arbeit generiert hat und der Imageschaden, der dadurch entstanden ist, war und ist einfach unglaublich. Ich habe diese Leute alle persönlich gekannt, sie sind mir im vollen Bewusstsein, dass sie betrügen, gegenüber gesessen und haben mir ins Gesicht gelogen. Da sass auch die persönliche Enttäuschung sehr tief und ein solches Verhalten ist mir auch nach all den Jahren völlig unverständlich. Ein Skandal wie dieser hinterlässt nur Verlierer. Natürlich steht auch sofort das Amt im Fokus und die Frage, weshalb die Betrügereien nicht bemerkt wurden. Die Aufarbeitung hat wirklich sehr viel Energie und auch Zeit gebraucht und gekostet.

Im März haben Sie an der VöV-Tagung ihre Wünsche an die Branche gerichtet: Mehr Wettbewerb, den FVP für Kader abschaffen und ein bewussterer Umgang mit Geld. Sind in der Zwischenzeit noch weitere Wünsche dazu gekommen?

Wir hatten vierzehn goldene Jahre, es ist der Branche so gut gegangen wie noch nie, sie konnte wachsen. Sogar die Pandemie wurde gut überstanden. Ich gehe davon aus, dass in der nächsten Zeit die Spardebatte alle Diskussion beherrschen wird. Der Bund wird massiv sparen und da mache ich mir wirklich Sorgen, ob die Branche bereit ist dafür. Deshalb habe ich diesen Punkt in letzter Zeit auch immer wieder thematisiert. Ist sie in der Lage, damit umzugehen, dass das Geld dann plötzlich nicht mehr à discretion zur Verfügung steht? Schafft die Branche diesen Schritt? Es werden Einschnitte kommen. Deshalb habe ich das immer wieder angesprochen und die Branche dazu aufgerufen, sich darauf vorzubereiten. Es geht nicht so weiter wie in den letzten Jahren, mit einer hohen Wachstumsrate und noch mehr Projekten.

Wie kann sich denn die Branche konkret darauf vorbereiten?

In dem sie sich ganz einfach überlegt, ob sich ein Problem auch ohne Geld lösen lässt. Wie häufig hatte ich Treffen mit Unternehmensleitern, die mehr Geld gefordert haben, um ein Problem lösen zu können. Ich habe immer gesagt: Du bist der Unternehmer, ich bin der Beamte. Du musst die Lösung bringen. Es gibt sicher immer noch viele, die das auch können – es ist eine grosse Branche – aber insgesamt wird bei jeder Subventionskürzung beim Parlament für mehr Geld lobbyiert. Das ist der normale Reflex. Meistens ist dies in der Vergangenheit auch gelungen. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob dies in den nächsten drei, vier Jahren weiterhin gelingen wird.

Was ist Ihr grösster beruflicher Erfolg, was macht Sie besonders stolz?

Was mich mein ganzes Berufsleben lang begleitet hat, ist die Neat. 1995 war ich bei der eidgenössischen Finanzverwaltung Sekretär der Arbeitsgruppe, welche die Neat etappiert und finanziert hat und der unter anderen Benedikt Weibel, Hans-Ulrich Gygi, Peter Siegenthaler und Hans-Peter Fagagnini angehörten. Die Neat von deren Entstehung auf Papier bis zur Inbetriebnahme begleiten und einen Beitrag an dieses Jahrhundertbauwerk leisten zu können, war schon einmalig und hat mich auch emotional berührt.

Dann waren die Eröffnungen der Neat-Bauwerke grosse Momente für Sie?

Ja. Vor allem die Gotthard-Eröffnung war wirklich einmalig. Das BAV war damals verantwortlich für die Organisation des Eröffnungsevents, der ein riesiges Fest war. Diesen gewaltigen Festakt mit den eigenen Leuten so zu realisieren und stemmen zu können, war einzigartig. Das war eine der vielen Herausforderungen und es hat alles wunderbar geklappt. Die Eröffnung der Neat war für mich der emotionale Höhepunkt.

Sie äussern sich regelmässig über Linkedin. Werden Sie dies künftig halten? Werden Sie sich weiterhin aktiv ins Verkehrsgeschehen einbringen?

Das ist noch offen. Meiner Ansicht nach leiden wir darunter, dass es zu viele pensionierte Bahnexperten gibt, die sich aktiv öffentlich äussern. Die Gilde muss nicht noch durch mich erweitert werden. Von dem her bin ich mir am überlegen, was ich da in Zukunft machen will. Heute habe ich die Rolle als BAV-Direktor, die werde ich ab dem 1. August nicht mehr haben. Ab da wird nur noch interessieren, was die neue Direktorin schreibt und nicht mehr, was der alte Direktor von sich gibt.

Sie haben hin und wieder auch von einem humanitären Einsatz geträumt, wollten jedoch den Job als BAV-Direktor nicht dafür aufgeben, weil er zu spannend sei…

…das war vielleicht in gewisser Weise auch ein humanitärer Einsatz, ich weiss es nicht (schmunzelt). Man sucht ja auch immer etwas nach einem Sinn im Leben und die soziale Verantwortung war mir immer wichtig, ein entsprechendes Engagement hat sich jedoch nie ergeben.

Und wie sieht es damit in Zukunft aus?

Das könnte mich in Zukunft durchaus reizen. Beispielsweise die Ukraine zu unterstützen und an deren Wiederaufbau mitzuarbeiten. Das ist etwas, das mich persönlich sehr beschäftigt. Etwas im Sinne und zum Wohle der Gesellschaft zu machen, das würde ich schon gerne tun.