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Unterstützung für Sehbehinderte und Blinde Warum manche ÖV-Unternehmen auf die Schweizer App setzen – und andere nicht

Eine vom Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband SBV entwickelte App bietet sehbehinderten und blinden Menschen von Beginn bis zum Ende ihrer Reise im ÖV Unterstützung. Braucht es die App wirklich und was kann sie alles?

Die Intros-App vereinfacht die Nutzung von Bussen und Trams für blinde und sehbehinderte Personen und zeigt beispielsweise die richtige Ausstiegs-Haltestelle an. Foto: zvg

Auf den ersten Blick scheint es so, als gäbe es gerade für sehbehinderte und blinde Menschen genügend Hilfsmittel, um den öffentlichen Verkehr autonom nutzen zu können: Da sind beispielsweise taktile Leitlinien, Leit-Hinweise zu Perrons in Braille-Schrift, Stelen, an welchen sich blinde und sehbehinderte Menschen auf Knopfdruck Informationen vorlesen lassen können und natürlich Durchsagen. «Diese Hilfsmittel sind alle sehr wichtig und bieten wertvolle Unterstützung», sagt Luciano Butera, Leiter Fachstelle Technologie & Innovation beim Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband SBV.

Gerade die Reise mit dem Zug sei dank dieser Hilfsmittel für die meisten Betroffenen autonom möglich. Gehören zu einer Reise jedoch Bus und Tram dazu, sieht die Situation gleich ganz anders aus. «Im städtischen Verkehr gibt es häufig Haltestellen, die von mehreren Linien manchmal auch noch praktisch zeitgleich angefahren werden», erklärt Butera. Und genau dort fangen die Probleme für sehbehinderte Personen an. Wie sollen sie erkennen, welches der richtige Bus oder das richtige Tram ist?

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«Ziel ist, dass blinde und sehbehinderte Personen dank der App den gleichen Informationsstand haben wie ihre sehenden Mitreisenden.»

Luciano Butera, Leiter Fachstelle Technologie & Innovation SBV

Genau bei solchen und weiteren Problemfeldern setzt die Intros-App (Independent Travelling Orientation System) an, die der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband entwickelt hat. Eine App von Betroffenen für Betroffene also. Sie bietet dem Nutzer eine komplette Reisebegleitung von A bis Z. «Ziel ist, dass blinde und sehbehinderte Personen dank der App den gleichen Informationsstand haben wie ihre sehenden Mitreisenden», erklärt Luciano Butera. «Wir wollen damit sehbehinderten und blinden Menschen eine eigenständige Reise ermöglichen.»

So funktioniert die App

Bereits vor Reiseantritt kann der Fahrgast über die App auf die Fahrpläne zugreifen und seine Reise planen. Dabei erkennt Intros automatisch, welche Haltestelle die nächste zum aktuellen Aufenthaltsort ist. Ist der Fahrgast bereits an der Haltestelle, erkennt das System dies und zeigt den lokalen Fahrplan an. Fährt der gewünschte Bus ein, informiert die App den Nutzenden und leitet ihn zum richtigen Fahrzeug und Einstiegspunkt. Dieser wird der sehbehinderten Person mit einem Ton angezeigt. Beim Einstieg bestätigt das Fahrzeug Linie und Ziel. Im Bus werden in der App die Haltestellen laufend aktualisiert und die nächsten sechs angezeigt. Die Haltestellen lassen sich auch als Ausstiegspunkte markieren.

Damit die App alle relevanten Informationen zur Reise an den Nutzer weitergeben kann, muss sie mit den Bordcomputern der Fahrzeugen kommunizieren können. Dafür wird in den Fahrzeugen ein Intros-Hardware Modul, eine Art Minirechner, installiert. Die Kommunikation zwischen App und dem im Fahrzeug eingebauten Intros-Hardware Modul erfolgt über Bluetooth Low Energy.

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Entwickelt hat die notwendige Hardware die Firma Trapeze Switzerland. Die Baselland Transport AG und die Zugerland Verkehrsbetriebe haben anschliessend für einen Pilotversuch Fahrzeuge zur Verfügung gestellt, die mit dem Hardware-Modul ausgestattet wurden. Der Pilotversuch dauerte von September bis November 2018. «Ziel war, dem SBV und Trapeze eine Umgebung zu bieten, damit sie die technische Machbarkeit des Systems testen konnten», erklärt Karin Fröhlich, Leiterin Kommunikation bei den Zugerland Verkehrsbetrieben. «Die Weiterentwicklung der App und eine allfällige flächendeckende Einführung war nicht Gegenstand des Pilots», so Fröhlich weiter. In die Tests waren auch Schülerinnen und Schüler der Blindenschule Zugerland involviert.

«Die Rückmeldungen und Akzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer auf die Tests waren sehr gut», erinnert sich Luciano Butera an die Pilotphase. Dennoch ist es in der Schweiz bis heute bei diesem Pilotversuch von 2018 geblieben, bisher ist das System hierzulande noch nirgends zur Anwendung gekommen.

Interesse in Deutschland grösser als in der Schweiz

Anders verhält es sich in Deutschland bei der Saarbahn: Das Verkehrsunternehmen ist momentan dabei, seine rund 140 Busse mit dem System auszustatten. Noch im 2024 soll Intros flächendeckend eingeführt werden. «Aktuell finden Tests statt, um die Stabilität des Gesamtsystems im Livebetrieb zu überprüfen», so Ulrike Reimann, Konzern-Pressesprecherin der Stadtwerke Saarbrücken.

«Aktuell finden Tests statt, um die Stabilität des Gesamtsystems im Livebetrieb zu überprüfen.»

Ulrike Reimann, Pressesprecherin Stadtwerke Saarbrücken
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Der Saarbahn sei es ein großes Anliegen, dass alle Fahrgäste einen möglichst uneingeschränkten Zugang zu ihren Nahverkehrsangeboten hätten. «Mit der Einführung des Systems soll insbesondere unseren blinden und seheingeschränkten Fahrgästen die Nutzung des ÖPNV erleichtert und ihre selbstbestimmte Mobilität gefördert werden», so die Pressesprecherin weiter.

Der Zuschlag für ein barrierefreies Informations- und Orientierungssystem für die Busflotte der Saarbahn sei im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung erteilt worden. Angesprochen auf die Kosten meint Reimann: «Im Kontext der europaweiten Ausschreibung machen wir hierzu keine näheren Angaben.»

Mit Kiel setzt zudem eine weitere deutsche Stadt auf Intros: Auch dort soll das Tool voraussichtlich noch dieses Jahr zum Einsatz kommen.

Der Erfolg der App in Deutschland freut Luciano Butera. «Momentan scheint sie in Deutschland mehr Aufmerksamkeit zu finden als in der Schweiz», meint er. Und hofft, dass auch die Verkehrsbetriebe in der Schweiz die Vorteile der App bald für sich entdecken werden. Bleibt abzuwarten, ob sich Buteras Hoffnung erfüllt und die Einführung von Intros bei den Verkehrsbetrieben im Saarland und in Kiel dem innovativen Tool auch in der Schweiz neuen Schwung verleihen wird. Bis es soweit ist, wird der eine oder die andere Nutzerin von Intros wohl einfach auf die ebenfalls praktische und für blinde und sehbehinderte Menschen sehr einfach nutzbare Fahrplanfunktion der Intros-App setzen.

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